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Da stehe ich am Fenster und starre in die weite Ferne.
Mit jeder Sekunde kommt die Abenddämmerung näher. Ich kann ihr zusehen, wie sie sich anschleicht. In Begleitung eines Nebelschleiers. Tiefliegend. Der Strasse tief entlang schleicht er sich ebenfalls mit an.

Die Schuhe geschnürrt und die Jacke über die Schulter gelegt, laufe ich los. Es scheint so, als ob der Wald mir zuflüstert. Ich bin neugierig, was mir diese Stimmen, die jetzt noch sehr unklar erscheinen, wohl zu erzählen haben. Eine Geschichte? Eine Warnung? Ein Spass?
Alles was ich vorerst wahrnehmen kann, ist ein Geflüster. Mehr ist es noch nicht. Wird es je mehr sein? 
Ich finde es nur heraus, wenn ich den Stimmen weiter folge. 

Die Herausforderung kommt mit einer Weggabelung. Intuitiv zieht es mich nach links. Ertönt es wirklich von dort? In der nächsten Sekunde aber flüstert es eher von rechts. Irgendwie schon sehr nah, als ob es direkt hinter mir ins Ohr haucht. Ein Schauer überkommt mich. Ich kann es nicht einordnen – ist es doch aus der Ferne? So als ob es mich noch mehr in den Wald locken will? Was ist der Grund des Lockrufes?

Die Knack- und Raschelgeräusche konnte ich für den Moment der Entscheidung ausblenden. Doch sind sie nun wieder präsent. Eine eisige Kälte zieht mit einer Sekundenschnelligkeit meinen Rücken hinab.
Erstarrt stehe ich noch immer da. Ich bin schon zu weit im Waldesinnern, als dass ich jetzt zurück gehen sollte. Im weiteren Innern weiss ich aber nicht, was mich sonst noch erwartet. Aber wann ist diese Gewissheit jemals da…

Mittlerweile hat mich auch die Abenddämmerung komplett eingeholt. Der Nebelschleier ermöglicht ein Sehen nur für wenige Meter vor mir. Welchen Weg ich nun auch einschlage, das Ungewisse wird mich begleiten. Wenn ich mir auch eine etwas angenehmere Wegbegleitung vorstellen könnte. 

Ich bleibe stehen. 
Plötzlich.
Ein inneres Stopp-Schild erbaute mir eine Barriere fürs Weitergehen.
Nicht mit beiden Beinen am Boden.
Der eine Fuss nur leicht antippend. Und ehe ich mich umsehe und lauschen kann, verliere ich den Boden unter den Füssen.
Wurde er weggezogen oder bin ich einfach zu schwer? Ich weiss es nicht.

Erschrocken zu mir gekommen, von den Wassertropfen, die auf mein Gesicht träufeln, stelle ich fest, dass ich gefallen sein muss. Vom Schmerz, der sich wie ein Tuch über mich legt, begleitet. 
Links und rechts neben mir sind kalte, hohe Steinwände. Teils mit Moos überdeckt. Spitze Steinchen ragen vor. 
Im einen Moment fühlt es sich so an, als ob diese Wände immer näher zueinander rückten. Ich in der Mitte. Intuitiv strecke ich beide Arme zur Seite aus. Leiste ich Widerstand gegen etwas, das unweigerlich stärker ist, verliere ich an wertvoller Energie. Bleibe ich handlungslos liegen, in der Hoffnung auf eine rettende Hand, vergehen unzählige Momente des Bangens.
An der letzten Weggabelung eine Entscheidung zu treffen, in welche Richtung ich nun gehen soll, war wohl erst der Vorgeschmack auf die aktuelle Situation in der ich mich gerade befinde. 

Ich trage eine leichte Jacke. Behütet von einem durchlässigen Schutzschild, das mit jedem Tropfen von oben verwundbarer wird.
Setze ich mein Schutzschild länger dieser Situation aus, wird es früher oder später komplett einbrechen.
Es vergehen Minuten des Gedankenkreisens. Ich habe mich noch nicht entschieden, ob ich lauthals schreien, weinen, oder doch einfach still und in mich gekehrt reagieren soll. Vielleicht werden die Schreie gehört. Wenn nicht, vergeude ich Ressourcen, die mir vielleicht noch das Leben retten sollen. 
Reflexartig suche ich in der Jackentasche nach meinem Handy. Natürlich liegt das Zuhause auf dem Tisch. Ich war dabei, mir anzugewöhnen, eine Distanz zu gewissen Dingen aufzubauen. Was wir Menschen doch für Gewohnheitstiere sind. Ein falscher Moment kommt stets. Das bemerke ich jetzt am eigenen Leib. 
«Die Lösungen sind da. Du brauchst dazu lediglich das richtige Instrument, um diese gegebenenfalls auszugraben.» Worte, die mir eine Stimme in den Kopf setzt. Ich weiss nicht, ob ich diese Stimme kenne. Bekannt oder unbekannt – ihre Absicht ist die gleiche: Ruhe bewahren, bedachtes Vorgehen. Doch scheinen diese Schlüssel gerade im Strom der Angst und Unsicherheit davon zu schwimmen. Den Rettungsring kann ich nicht auswerfen, die Arme sind gefesselt. Entfesslungskünstler befreien sich auch selbständig. Aber erst nach einer langen Zeit des Lernens und der Übung. 

prozessederzeit
larissa

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