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Da sass ich letztens mit meinen Eltern am Esstisch. Sie erzählten von früher. Sie erzählten von den Migräneanfällen in meiner Jugend. Davon, wie der Arzt notfalls zu uns Nachhause kommen musste, weil ich nicht mehr aufstehen konnte. Davon wie ich auf dem Weg zum Notfalldienst zusammenbrach, weil mein Kreislauf den Schmerzen nicht mehr standhalten konnte. Und noch vieles mehr. Es gab einen kurzen Moment, an dem ich nicht genau wusste, ob ich das jetzt cool hinter mir lassen wolle oder ob ich mich da erneut hineinversetzten möchte. Eigentlich stand nur die erste Variante zur Debatte.

Es ist Vergangenheit und dort soll es wenn möglich auch bleiben. Aber es ist eine Vergangenheit die dem Anschein nach auch meine Eltern stark geprägt hat. Egal wie ich mich auch entschieden hätte, der Flashback kam mir zuvor. Autsch.

Das Gespräch an diesem Abend hat mich für den heutigen Artikel inspiriert. 
Andere Artikel sind mehrheitlich aus der Sicht eines Betroffenen zu lesen. Was ist aber mit dem Umfeld eines Brummschädel-Patienten? Die Eltern? Der Partner/die Partnerin? Engste Freunde? Was ist mit dem Vorgesetzten? Diese erleiden nicht die Schmerzen in einer akuten Attacke, sind aber indirekt auch betroffen. Meine Mutter sagte: «Du siehst dein leidendes Kind, weinend und völlig benommen von den Schmerzen und es sind dir einfach die Hände gebunden. Du kannst ihm diese Schmerzen nicht einfach so abnehmen. Das ist das Schlimmste für einen Elternteil.» 
In Gesprächen mit Menschen, die Migräniker oder Brummschädel-Patienten in ihrem Umfeld haben, höre ich immer wieder heraus, dass sie nicht wissen, wie sie am besten helfen sollen. Vielleicht kann dir dieser Artikel etwas Aufschluss geben. Er beinhaltet keine handfesten Tipps aber eine Sichtweise, mit der du hoffentlich «arbeiten» kannst. 

Eigentlich musst du überhaupt nicht wissen, wie du helfen kannst.
​1. Wenn du ein Laie bist, kannst du das eh nicht (versteh mich bitte richtig: heisst nicht, dass du keine Ahnung hast, sondern dass dir die Mittel dazu einfach fehlen)
Und
2. Migräniker kennen ihre Attacken und sich selbst ziemlich gut und handeln oft so, wie es für sie in diesem Moment gerade passend ist. 
Trotz allem gibt es der eine oder andere Umgang, den du als Umfeld pflegen kannst. Ich kann aus meiner eigenen Erfahrung sagen, dass viele Migräniker und Bummschädel-Betroffene ihr Umfeld oftmals gar nicht in diesen Teufelskreis mit hineinziehen wollen. «Das soll nicht auch zu ihrem Problem werden.» Deshalb versuchen viele ihren Zustand zu verstecken oder gar zu überspielen. Mach ich genau so, da bin ich jetzt sehr ehrlich zu dir. Warum? Der Schmerzzustand soll hierbei nicht noch mehr fokussiert werden. Aber auch ein anderer Aspekt könnte der Grund dafür sein: sie wollen nicht als «Weicheier» dastehen. Warum das aber nach hinten losgehen könnte und wie das genau gemeint ist erkläre ich dir.

In den Artikeln Kopf hoch oder Warum du ein Wohlfühltagebuch führen solltest habe ich dir erklärt, wie es um das Schmerzgedächtnis eines Brummschädel-Patienten steht. Aber nochmals zur Erinnerung: Unsere Zellen speichern für ein Leben lang jede Schmerzattacke ab. Und je mehr wir haben, desto grösser der Speicher. Ganz logisch. Irgendwann sind wir dann auch soweit, dass wir fast in Schmerzen denken. Und so soll es nun wirklich nicht sein. So, jetzt stell dir vor, du fragst einen Betroffenen mit einem sehr ausgeprägten Schmerzgedächtnis jeden Tag nach seinem (Wohl)ergehen bzw. nach seinen Schmerzen. Hat für ihn so ziemlich den selben Effekt, wie wenn ich eine Priese Salz in deine kürzlich zugezogene offene Schnittwunde streuen würde. Ich weiss sehr wohl, dass du es damit nur gut meinst und Interesse zeigst, aber manchmal ist eine Frage einfach eine zu viel. Mit dem Verstecken eines Schmerzzustandes baut sich der Betroffene also ein Schutzschild auf, mit dem Nebeneffekt, dass sich ein Aussenstehender nicht auch noch um solche Anliegen kümmern müsste. Das hat den grossen Nachteil, dass sich im inneren des Betroffenen ein Druck aufbaut. Kein physischer Druck, aber auf psychischer Ebene. Sie stellen sich selbst unter Druck. Da stellt sich dann schlussendlich die Frage: Das Pokerface ablegen und sagen was Sache ist? Diese Entscheidung überlasse ich jedem selbst.
Das Ding mit dem «Weichei»…… ist so`ne Sache. Es gibt Menschen (hab ich selbst schon kennengelernt), die können diesen Zustand von chronischen Schmerzen oder diesen eines akuten Anfalls absolut nicht nachvollziehen. Das aus dem einfachen Grund, weil sie selbst einfach nie betroffen sind oder waren. Sie haben ein Lächeln und Tuscheln übrig, wenn sie mitbekommen, dass einer aus ihrem Umfeld Schmerzattacken hat oder gerade eine durchlebt. Kam auch schon vor, dass der Betroffene dann als «Weichei» betitelt wird, weil man ja nur wegen ein bisschen Kopfaua nicht gerade einen Weltuntergang zeichnen muss. Nun kannst du dir selbst zusammenrechnen, weshalb wir die Schmerzen überspielen. An dieser Stelle möchte ich dir ans Herz legen: Ein Betroffener ist nicht auf dein Mitleid aus (du sollst nicht mit ihm mit leiden…. 😉 ) aber für dein Verständnis ist er dir sehr dankbar. Auch nimmst du ihm damit sehr viel Druck von den Schultern und er kann sich aufs Wesentliche konzentrieren: eine schnelle Genesung. 

Wie du jetzt den obigen Zeilen entnehmen kannst, ist es wohl sehr tricky für dich, aktiv was tun zu können. Da lässt sich auch nicht gross was daran ändern. Das ist in meinen Augen auch nicht weiter tragisch, denn wir Migräniker haben sämtliche Tricks auf Lager. Es gibt jedoch eine Situation, in der du  wirklich aktiv handeln solltest: wenn eine Attacke ein Ausmass einnimmt, welches nicht sein sollte, dann greifst du bitte zum Hörer und rufst den Arzt an!

Abschliessend möchte ich dir noch drei Stichwörter auf den Weg geben. Inputs, die du ebenfalls beherzigen kannst, wenn du einen unterstützenden Beitrag leisten möchtest. 

  • Rückzugmöglichkeit
  • Positive Anker
  • Selbstvertrauen

Lass mich dir diese noch erläutern. 

​Rückzugmöglichkeit
Du kannst einen Migräniker bzw. Brummschädel-Patienten im Akutzustand unterstützen, indem du ihm Rückzugsmöglichkeiten bietest. Verschaffe ihm einen Ort, an dem er sich (soweit es eben möglich ist) wohlfühlt und sich Ruhe gönnen kann. Gib ihm aber auch die nötige Zeit dazu. 

Positive Anker
Das geht vor allem an die bessere Hälfte des Betroffenen. Du kannst ihm helfen, indem du bildlich gesprochen die Regenwolken mit viel Sonnenschein überstrahlen kannst. Nutze die Tage, an denen es deinem/deiner Liebsten gut geht und setz einen positiven Anker als Gegenpol zum ausgeprägten Schmerzgedächtnis. Macht ein schönes Picknick an der frischen Luft oder geniesst die Zweisamkeit am See. All das kann der Betroffene zu einem späteren Zeitpunkt als Mentaltechnik brauchen. An dieser Stelle verweise ich gerne nochmals auf den Artikel deines persönlichen Ankers.

Selbstvertrauen
Kommt immer wieder vor, dass das Selbstvertrauen von Betroffenen leicht geknickt ist. Das kann viele Gründe haben. Fakt ist, dass es so ist. Leider. Auch das sollte nicht sein. Im Gegenteil. Es wird jetzt erst recht gebraucht, um dem Phänomen soweit es geht den Kampf anzusagen. Auch dabei kannst du einen Einfluss nehmen. Erkenne das Potenzial und lass es wachsen. Erfolgserlebnisse eignen sich hierfür sehr gut. In welcher Art diese sind, entscheidet indirekt der Betroffene. Wenn du ihm/ihr nahe stehst, erkennst du schnell, wo das sein wird. 

Und wieder ein Artikel, der bereits viel länger ist als ursprünglich geplant. Solange er aber seinen Zweck erfüllt, spielt die Anzahl der Wörter ja keine grosse Rolle. 
In diesem Sinne bleibt mir zu hoffen, dem Umfeld eine Sichtweise geboten zu haben, mit der ihr etwas anfangen könnt. Falls du deine Erfahrung teilen möchtest, freue ich mich natürlich sehr über einen Kommentar oder deine Story in einer persönlichen Nachricht. 

Perform now, change forever!

perspektivenwechsel
larissa

Author larissa

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Join the discussion 2 Comments

  • Wianca sagt:

    Liebe Lana
    Glückwunsch zu diesem tollen Artikel! Und «Autsch», hab ich vieles noch nicht gewusst! Ich werde mich künftig zurückhalten mit Fragen in dieser Hinsicht. Und Leute, die Schmerzpatienten als «Weichei» bezeichnen, sind ganz einfach nur primitiv und haben keinerlei Einfühlungsvermögen. Ich wünsche dir, dass du keine solchen Menschen um dich hast.
    Bleib weiter crazy und cool!
    Liebe Grüsse und einen tollen Tag wünscht dir
    Wianca

    • larissa sagt:

      Liebe Wianca
      Vielen Dank für deinen Kommentar.
      Zum Glück kann man sich seine Freundschaften selbst aussuchen 😉
      Auch dir wünsche ich einen tollen Tag und sende
      liebe Grüsse
      Lana

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