Aktuell steigt das Thermometer gerne mal etwas in die Höhe und die Sonne zeigt sich von ihrer Strahlenseite. Wie schön!
Abkühlung gefällig?
Lass uns heute einen Schwumm im Meer der Persönlichkeitspsychologie machen!
In unserer modernen, oft extrovertiert geprägten Gesellschaft stossen die Begriffe «Introversion» und «Hochsensibilität» doch zunehmend auf Interesse. Dennoch werden sie immer mal wieder als Synonyme verwendet, obwohl sie grundsätzlich voneinander abzugrenzen sind. Und doch bestehen Überlappungen dieser beiden Konstrukte. Genau darauf zielt dieser heutige Artikel ab. Wir beleuchten die Introversion etwas näher und setzen sie in Zusammenhang mit der Hochsensibilität. Daraus wird ersichtlich, welche Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede sie haben und entwickeln im besten Fall ein besseres Verständnis für manche Verhaltensweisen von Betroffenen.
Introversion ist ein Persönlichkeitsmerkmal, welches durch ein tiefes Bedürfnis nach Ruhe und allein verbrachter Zeit gekennzeichnet ist. Introvertierte Menschen tanken Energie, indem sie Zeit mit sich alleine verbringen und in sich kehren können. Nach sozialen Aktivitäten fühlen sie sich oftmals erschöpft und brauchen eine gewisse Zeit, bis sie sich davon erholen.
Pass auf, dass du Introversion nicht mit der Schüchternheit gleichsetzt. Ist es nicht.
Während Schüchternheit eine Ängstlichkeit von sozialen Situationen ist, geht es bei der Introversion um die Präferenz für ruhigere, weniger stimulierende Umgebungen.
Der Psychoanalytiker C.G. Jung (1964) definiert eine introvertierte Person als «eine zögerliche, nachdenkliche […] Natur, die am liebsten allein bleibt, vor Hindernissen zurückschreckt, sich stets leicht in der Defensive befindet und sich hinter misstrauischen Begutachtungen seiner Umwelt versteckt.» Sie orientieren sich eher auf die innere Realität, haben meist eine ausgereifte Fähigkeit zur Selbstreflexion und bevorzugen ein geordnetes, strukturiertes Leben.
Jung postulierte ein System von Persönlichkeitstypen, das die verschiedenen Charakteristika eines Persönlichkeitsmerkmals umfasst. Dabei gliedert er in «empfindender Typ», «denkender Typ», «fühlender Typ» und «intuitiver Typ». Dies auf die Introversion angewendet, können die Merkmale auf dem Bild entnommen werden.
In der Lehre der Persönlichkeitspsychologie liegt die Introversion auf einem Kontinuum gegenüber der Extraversion. Obwohl diese auf den ersten Blick als gegensätzlich betrachtet werden könnten, weisen F. Neyer und J.B. Asendorpf (2018) gekonnt darauf hin, dass Introversion «nicht als Gegensatz zur Extraversion, sondern eher als Fehlen von Extraversion verstanden werden sollte. Introvertierte erledingen Dinge oft lieber alleine und wirken eher verschlossen, aber nicht wegen mangelnder sozialer Kompetenz oder aufgrund sozialer Ängste, sondern einfach, weil sie es oft vorziehen, allein und unabhängig zu sein»
Zusammengefasst haben Introvertierte oftmals das tiefe Bedürfnis nach «Egozeit» und präferieren keine oberflächlichen Small-Talks sondern bedeutungsvolle, tiefgründige Gespräche. Sie sind gegenüber äusserlichen Reizen und Überstimulation empfindlich und tendieren zu einer ausgeprägten Selbstreflexion sowie der inneren Verarbeitung von Geschehnissen.
Im Artikel «Hochsensibilität – Was es ist und was es eben nicht ist» bin ich umfänglich auf dieses Konzept eingegangen. Daher hier nur ganz kurz und knapp: Die Hochsensibilität ist ein Konstrukt, bei dem Betroffene gegenüber äusseren sensorischen Reizen eine vertiefte Wahrnehmung und Verarbeitungsweise aufweisen. Oftmals laufen sie Gefahr zur Überstimulation und erschöpfen in lauten, chaotischen Umgebungen sehr schnell. Sie zeichnen sich meist durch ihre Detailorientiertheit und ihre ausgeprägte Empathie aus.
Nun, worin unterscheiden sich die Introversion und die Hochsensibilität und welche Gemeinsamkeiten kommen auf?
Beide haben gemein, dass sie zeitnah zur Reizüberflutung tendieren und ein starkes Bedürfnis nach Rückzug empfinden. Ihre ausgeprägte Selbstreflexion und innere Verarbeitung machen beide zu einem nach innen bezogenen Merkmal. Sowohl introvertierte als auch hochsensible Menschen bevorzugen in der Regel ruhige Umgebungen, in denen sie nach z.B. sozialen Interaktionen auch wieder ihre Akkus laden können. Introvertierte und Hochsensible sind sehr interessante Gesprächspartner, da sie beide viel Wert auf tiefsinnige Gespräche legen und die Fähigkeit besitzen, Dank ihrer Empathie auch andere Perspektiven einzunehmen.
Sowohl Introvertierte als auch Hochsensible können sehr kreativ und intuitiv sein. Oftmals behalten sie das für sich und machen vieles mit sich selbst aus.
Beide Gruppen bevorzugen eine gute Struktur und Ordnung. Mit (plötzlichen) Veränderungen oder Spontaneität kommen sie oftmals nicht so gut klar. Langandauernde, laute oder intensive soziale Aktivitäten können bei beiden schnell zu Stress und Überforderung führen.
Bei der Introversion geht es mehr um die Art und Weise, wie eine Person ihre Energie zieht. Demgegenüber ist die Hochsensibilität durch ihre Reizverarbeitung und Wahrnehmungsfähigkeit charakterisiert. Was die soziale Präferenz angeht, bevorzugen Introvertierte oft kleinere, intimere Gruppen und tiefe Gespräche. Sie fühlen sich in großen, lauten sozialen Umgebungen unwohl, weil diese Umgebungen ihre Energie schnell aufbrauchen. Hochsensible Menschen können sowohl introvertiert als auch extrovertiert sein. Ihre Herausforderungen in sozialen Situationen resultieren eher aus der Überflutung durch Reize als aus einem grundsätzlichen Bedürfnis nach weniger sozialen Interaktionen.
Ein introvertierter Mensch kann die sozialen und energetischen Merkmale der Introversion zeigen, ohne eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber sensorischen Reizen oder eine intensive emotionale Empfindsamkeit zu haben. Ein hochsensibler Mensch kann extrovertiert sein und Freude an sozialen Interaktionen haben, während er dennoch eine intensive Verarbeitung von Reizen und eine erhöhte emotionale Empfindsamkeit zeigt.
Hinsichtlich der sensorischen Empfindlichkeit bestehen ebenfalls Unterschiede: Sensorische Empfindlichkeit ist nicht zwingend ein Merkmal der Introversion. Einige Introvertierte können mit sensorischen Reizen gut umgehen, solange sie genug Zeit für sich selbst haben, um sich zu erholen. Hochsensible Menschen sind oft sehr empfindlich gegenüber sensorischen Reizen wie Licht, Lärm und Texturen. Diese Empfindlichkeit ist ein zentrales Merkmal der Hochsensibilität.
Das alles heisst also: Während Introversion und Hochsensibilität einige Überschneidungen aufweisen, sind sie doch unterschiedliche Konzepte mit jeweils eigenen Merkmalen und Herausforderungen. Introversion betrifft hauptsächlich das Energiemanagement und die Präferenz für weniger stimulierende soziale Umgebungen, während Hochsensibilität eine tiefergehende sensorische und emotionale Empfindlichkeit beschreibt.
So, für die introvertiert-hochsensiblen unter uns: Kleiner Reminder zum Umgang mit deiner Double-Superpower!
Zeitmanagement: Plane regelmässige Pausen und Zeiten der Stille ein, um dein Tank aufzufüllen. Erschaffe dir dafür eine eigene kleine Kraft-/Ruheinsel, in der du dich so richtig wohlfühlst.
Selbstakzeptanz: Das Golden-Nugget: Nimm in einem ersten Schritt deine Fähig- und Fertigkeiten an, akzeptiere sie und integriere sie mit Sicht auf all ihre tollen Chancen in dein Selbstkonzept. Stehe für deine damit einhergehenden Bedürfnisse ein.
Kommunikation: Eine offene, transparente Kommunikation deinem engsten Umfeld gegenüber über deine Bedürfnisse lässt Verständnis und Rücksicht aufkommen.
Achtsamkeit & Ausgleich: Achtsamkeitsübungen halten die innere Balance und helfen dir im Umgang mit der Reizüberflutung.
Same, same but very different.
And don`t forget: Wenn stille Kräfte auf tiefe Empfindsamkeiten treffen, eröffnen sich plötzlich ganz viele neue Tore zur Welt der Chancen.
Moment – einer geht noch:
Die Intros hören ständig, sie sollen mal aus sich rauskommen, den Mund aufmachen, was erzählen, halt irgendwie wild sein.
Wie wäre es, wenn ihr Extros uns dafür mal bissl Platz macht?
Blog N` Roll
Literaturverweis:
Asendorpf, J. B., Neyer, F. J. (2018) Psychologie der Persönlichkeit. Springer-Verlag- GmbH Deutschland. 6. Auflage
Jung, C.G. (1964) Man and his symbols. New York. Dell.
Jung, C.G. (1968) Analytical psychology: its theory and practice. New York: Pantheon.
Maltby, J.; Day, L.; Macaskill, A. (2011) Differenzielle Psychologie, Persönlichkeit und Intelligenz. Pearson Studium. München. 2., aktualisierte Auflage