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Erinnere dich doch bitte einmal an das letzte Mal zurück, als du «Kein Stress, ich warte auf dich.», oder «Hast du einen kurzen Moment Zeit?» gehört oder gelesen hast.
Was passiert da in dir?
Wie fühlst du dich in diesem kurzen Moment der Aussage oder während des Lesens einer solchen Aussage?
Vielleicht kannst du es auch gar nicht benennen, weil du dich schon so sehr daran gewöhnt hast.

Wir nutzen sie oft beiläufig, schnell dahin gesagt, nett gemeint. Halt eben eine kommunikative Gewohnheit. Doch diese scheinbar harmlosen und gut gemeinten Floskeln tragen so einiges in sich. Ein Tempo, ein Anspruch, eine Erwartung. Einen kleinen, kaum wahrnehmbaren Druck. Dies für andere, aber auch für dich selbst.
Die Sprache ist ein eigenwilliges, sehr komplexes Instrument.
Sie wirkt. Und manchmal, nicht selten, eben ganz anders, als wir es eigentlich möchten.

Lass uns im folgenden Artikel einmal durch das Meer solcher alltäglich genutzten Floskeln schwimmen. Ob wir letztendlich darin untergehen, oder doch auf der Kommunikationswelle surfen, entscheidet jeder für sich selbst.

#1: «Hast du kurz Zeit?»

Klingt irgendwie harmlos, oder? Ist es aber oft nicht.
Diese Frage kann implizieren, dass der oder die andere Zeit haben sollte. Und zwar jetzt. Schnell, unauffällig, «nur kurz».
Aus psychologischer Sicht erzeugt diese Formulierung subtilen, sozialen Druck. Wer gefragt wird, fühlt sich schnell verpflichtet, «ja» zu sagen, selbst wenn eigentlich keine Kapazität da ist.
Das Wort «kurz» soll entlasten, bewirkt aber das Gegenteil: Es suggeriert, dass Ablehnung unverhältnismässig wäre.
Und: Sich «nur kurz» die Zeit zu nehmen kann im Gegenüber das Gefühl auslösen, nicht genug «wichtig» zu sein, um sich mehr Zeit für seine Anliegen einzuräumen.

Probiers mit:
„Wenn du Zeit und Ruhe hast, würde ich mich freuen, wenn wir XY gemeinsam klären können.“

#2: «Mach dir keinen Stress»

Das ist wohl der Klassiker unter den Alltagsfloskeln. Das Paradoxe dabei: Wer sich bereits gestresst fühlt, wird durch diesen Satz nicht entlastet. Ganz im Gegenteil, er fühlt sich noch unzulässiger.
Mach dir keinen Stress» kann ankommen wie: «Dein Stress ist selbst gemacht. Komm damit klar und reiss dich zusammen.»
Auf psychologischer Ebene kann (muss aber nicht) dieser Satz sogar entwertend wirken. Er vermittelt unterschwellig, dass das Gegenüber übertreibt, empfindlich ist oder sich unnötig selbst belastet.
Zudem ist das Wort «Stress» in den meisten Köpfen noch immer sehr negativ behaftet (in der Regel ist es das ja auch, aber es gibt auch den positiven Stress! Anderes Thema). Warum also ein gut gemeinter Satz negativ würzen? Bring da gerne etwas Entspannung (positiv assoziiert) rein.

Probiers mit:
„Ganz entspannt, du kannst dich melden, wann immer es für dich gut passt.“

3. «Ich mach das nur noch schnell fertig, dann bin ich da»

Ein Satz wie aus dem inneren Autopiloten. Und einer, der Stress auf beiden Seiten aufrechterhält.
Wer das sagt, hetzt sich selbst und sendet dem Gegenüber zugleich das Signal: «Ich bin eigentlich schon zu spät, aber versuche noch irgendwie, allem gerecht zu werden.»
Hierbei kann es sich um einen typischen inneren Antreiber handeln: «Sei schnell. Sei verfügbar. Mach es perfekt.» Der Satz ist Ausdruck einer Überforderungskultur, die sich selbst nicht zugesteht, sich einfach genügend Zeit für etwas zu nehmen.

Probiers mit:
„Ich beende dies in Ruhe und komme dann ganz bei dir an.“

Und? Hast du dich bereits bei diesen drei Klassikern auch schon wieder gefunden?
Oftmals bleibt es nicht nur bei diesen wenigen Beispielen. So lange der Alltag manchmal auch ist, so viele Möglichkeiten für solche Sprachfallen eröffnen sich. Wie siehts mit den folgenden Aussagen aus?

#4: «Ich wollte dich nicht stören…»

Klingt rücksichtsvoll, ist aber oft eine versteckte Entschuldigung für die eigene Präsenz.
Du übermittelst die Botschaft «Ich bin eigentlich eine Belastung, sorry dafür,» und unterdrückst damit deinen eigenen Wert. Deinem Gegenüber signalisierst du einerseits in gewisser Masse ein mangelndes Selbstvertrauen aber auch, dass er oder sie sowieso so viel zu tun und eigentlich keine Zeit dafür hat.
Stopp it: Lass ihn oder sie doch einfach selbst entscheiden, ob es gerade passt oder nicht.
Darüber hinaus kann diese Formulierung das Gegenüber in eine Rechtfertigungsrolle bringen und Schuldgefühle hervorrufen, obwohl man vielleicht gar nichts Schlimmes getan hat.

Probiers mit:
„Wenn du gerade Zeit hast, freue ich mich auf deine Rückmeldung.“

#5: «Ich melde mich später nochmal, wenn’s ruhiger ist»

Ein Satz, der sich im Grunde vernünftig anhört, aber subtil Eigendruck erzeugt: Irgendwann muss es ruhiger sein. Ich darf jetzt keine Kapazität haben, aber später besser funktionieren.
Diese Art des Aufschiebens kann dazu führen, dass man sich im Später verpflichtet fühlt und den Druck nur vertagt bzw. verstundet :-). And here we go, Stress vorprogrammiert.

An dieser Stelle ein persönlicher Gedanke: Ich erwische mich auch regelmässig, wie ich das mache. Ich lese eine Nachricht, weiss aber, dass ich gerade nicht antworten kann und «vertröste» auf später. «Ich schreib dir später ausführlich zurück.» Und kaum ist die Nachricht weg, denk ich mir «Verdammt Lary, wenn du genau weisst, dass du gerade sowieso nicht in Ruhe antworten kannst, dann lass es doch ganz bleiben. Entscheide du für dich selbst, wann du dir die Zeit zum Antworten nehmen willst. Mach das nicht von den Erwartungen anderer abhängig.»
Ich gehe mal davon aus, dass dies auch mit der heutigen Schnelllebigkeit und Digitalisierung zu tun hat. Es wird – wenn auch unterschwellig – erwartet, sehr zeitnah eine Antwort zu erhalten. Das Gegenüber gerät in Erklärungsnot und legt Rechenschaft ab. Das muss doch echt nicht sein. Jeder soll für sich selbst entscheiden können, zu welchem Zeitpunkt er antwortet.

Alternative:
„Ich nehme mir gerade etwas Raum, um durchzuatmen, und melde mich, wenn ich wieder wirklich bei dir sein kann.“
Oder: Melde dich doch einfach dann, wenn du dich dafür entscheidest, genügend Zeit zur Antwort zu haben. Ganz einfach!

#6: «Ich wollte das eigentlich schon längst erledigt haben…»

Der kleine Bruder der Selbstabwertung. Klingt wie ein Update, ist aber eigentlich ein subtiler Vorwurf gegen sich selbst.
Psychologisch schwingt hier mit: «Ich habe versagt. Ich bin zu langsam. Ich genüge nicht.» Und schon steckst du inmitten der selbst konstruierten Abwertungsfalle.
Brauchst den anderen bloss nicht die Ohren volljammern, das hast du dir selbst herbeigeführt. Und das muss doch eigentlich wirklich nicht sein.
Es bestehen immer wieder Situationen, in denen man etwas schon eher erledigt haben wollte, als es letztendlich dann ist. Aber das hat auch damit zu tun, dass unser Leben auch immer mal wieder an die Tür anklopft.

Probiers mit:
„Ich habe es im Blick und bleibe dran. Es dauert noch seine Zeit.“

#7: «Ich will dich nicht unter Druck setzen, aber…»

Gesagt, getan!
Diese Einleitung entschärft nicht. Im Gegenteil. Sie erzeugt umso mehr Druck. Auch wenn du es nicht willst und gut meinst. Sie verrät Unsicherheit und kann Schuld erzeugen.
Im Grunde ist diese Formulierung ein typisches Beispiel für einen inneren Konflikt: Man möchte etwas ansprechen, hat aber Angst vor der Reaktion des Gegenübers. Also schiebt man eine verbale «Entschuldigung» vorweg. Doch genau das macht die Situation unklar. Die Verantwortung wird verschoben. Der andere soll verstehen, dass es wichtig ist, sich aber damit bitte nicht belastet fühlen soll. Das erzeugt in den meisten Fällen Spannung und emotionale Ambivalenz.

Probiers mit:
„Ich möchte etwas ansprechen, das mir wichtig ist. Die Entscheidung über den Umgang damit obliegt ganz bei dir.»

#8: «Mach’s einfach, wie du denkst.»

Das klingt nach Vertrauen, ist aber häufig passiv-aggressiv oder Ausdruck von Ratlosigkeit. Der andere bleibt allein mit der Verantwortung und Deutung.
Aus psychologischer Perspektive kann diese Aussage sehr ambivalent wirken. Sie suggeriert Freiheit, lässt das Gegenüber aber oft mit der Frage zurück: «Ist das wirklich okay? Oder werde ich dann doch bewertet?»

In vielen Fällen wird dieser Satz gesagt, wenn man selbst nicht mehr weiss, was man will, oder die Diskussion vermeiden möchte. Dadurch entwickelt sich beim Gegenüber Unsicherheit.
Insbesondere feinfühlige Menschen reagieren darauf oder es wirkt in emotional bedeutsamen Situationen kontraproduktiv. Das Vertrauen ist dann nicht authentisch, sondern wird als ein Ausweichen gedeutet.

Probiers mit:
„Ich vertraue deinem Umgang damit. Und falls du Rückmeldung brauchst, bin ich gerne da.“

#9: «Ich will dich nicht nerven, aber…»

Phuu, wenn du mir so kommst, nervst du mich erst recht!
Auch hier: Der Nerv-Faktor wird durch die Formulierung nicht verringert, sondern eingeleitet. Der andere wird in eine Rechtfertigungsposition gedrängt, noch bevor das Thema ausgesprochen ist.
Dieser Satz ist ein klassisches Beispiel für vorweggenommene Ablehnungserwartung.
Wer so spricht, signalisiert: «Ich gehe davon aus, dass ich dich störe.» Das Gegenüber spürt diesen inneren Vorwurf oder die Unsicherheit und wird dazu gedrängt, zu beschwichtigen: «Nöö, alles gut, du nervst nicht…» Mhm, Pusteblume.
Das Gespräch basiert dann auf einer gewissen Grundanspannung, obwohl es vielleicht gar keinen Grund dazu gibt.
Meines Erachtens: Lass auch hier dein Gegenüber selbst entscheiden, ob er (jetzt mal ganz salopp formuliert) dich gerade in seiner Nähe haben will oder nicht. Aber serviere ihm doch nicht noch auf dem Tablett alle seine potenziellen Antwortmöglichkeiten.
Und aus deiner eigenen Perspektive betrachtet: Mach dich nicht kleiner oder wertloser. Jedes Individuum hat seinen Wert und den musst du nicht mit Nerven unterdrücken.

Probiers mit:
„Ich möchte gerne etwas mit dir teilen und freue mich über deinen Vorschlag für ein Zeitfenster.»

Worte wirken. Immer.

Unsere Sprache, sowohl verbal als auch nonverbal, ist ein Spiegel unseres inneren Zustands. Je mehr Druck, innere Hektik oder Selbstzweifel wir empfinden, desto eher fliessen sie durch vermeintlich harmlose Sätze nach aussen.
Bewusste Sprache bedeutet nicht, steril, stocksteif oder überkontrolliert zu sprechen. Vielmehr soll sie menschlich, klar, mitfühlend und der Situation entsprechend ausgedrückt sein.
Kleine Umformulierungen haben eine grosse Wirkung. Bewusst und oftmals eben auch unbewusst.
Sie schaffen Raum und Vertrauen. Und manchmal sogar ein bisschen mehr Ruhe für alle Beteiligten. Dies ist nicht zu unterschätzen, auch wenn es nur wenige Worte sind, ziehen sie eine umso stärkere Resonanz mit sich.

So, diesen Artikel wollte ich unbedingt noch schnell vor dem Wochenende verfassen. Mach dir keinen Stress beim Lesen, es dauert nur einen kurzen Moment deiner Zeit. Lass dich bitte nicht stören….

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